3 Hamburger Frauen

Capriccio kommt von Capra, was auf italienisch Ziege heißt. In der Kunsttheorie des 18. Jahrhunderts be-schreibt der Begriff „Capriccio“ einen launigen Einfall, eine Erfindung, bei der in der freien Zusammenstellung ungewöhnlicher Motive die Grenzen der Bildgattungen nicht selten überschritten werden. Nun ist heute in der Malerei ein solcher gewollter Regelverstoß nicht mehr so einfach herzustellen, da sich die Verbindlichkeit der Normen klassischer Bildorganisation längst verflüchtigt haben. Und doch ist es gerade diese, im Verzicht auf konkrete Sinnzusammenhänge zum Ausdruck kommende spielerische Leichtigkeit der Phantasie, die nach wie vor das Assoziationsvermögen des Betrachters zu aktivieren vermag. In den großformatigen Wandgemälden der 3 Hamburger Frauen bevölkern wilde Monster, Hunde, Vögel und unterschiedlichste Personenstaffagen elegisch-surreale Landschaften, die von ornamental wuchernden Pflanzen umschlungen werden. Zentrales Motiv dieser stets auf die konkreten Gegebenheiten des Ausstellungsortes eingehenden märchenhaft anmutenden Szenerien ist immer wieder das auf Fotos basierende Selbstportrait der drei in Hamburg lebenden Künstlerinnen Ergül Cengiz, Henrieke Ribbe und Kathrin Wolf, die unter dem Namen 3 Hamburger Frauen die in diesem Katalog zusammengefassten Wandarbeiten geschaffen haben. Ihr selbstbewusster Rekurs auf klischeebeladene Rollenvorstellungen von Frauen – zuletzt stellten sie sich in ihrem Wandgemälde im Hamburger Ausstellungsraum SKAM als Hollywood-Diva, Country-Girl oder Vamp dar – macht deutlich, dass es sich bei ihrer Zusammenarbeit nicht zuletzt um eine explizite Selbstinszenierung als Künstlerinnengruppe handelt.
Gründe, warum Künstler zusammenarbeiten gibt es viele. Die Kunstgeschichte ist voll von Beispielen, dass sich Künstler zu Schulen, Gruppen oder temporären Projekten zusammengeschlossen haben. Gegenseitige Inspiration, die gemeinsame Durchsetzung künstlerischer Vorstellungen und eine erhöhte Wahrnehmung von außen sind der Vorteil dieser Arbeitsgemeinschaften. Auch für die 3 Hamburger Frauen spielen diese Überlegungen eine Rolle. Denn nach wie vor handelt es sich bei Ergül Cengiz, Henrieke Ribbe und Kathrin Wolf um unabhängig voneinander arbeitende Künstlerinnen, die seit ihrem gemeinsamen Studium an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste in dieser Konstellation nur zur Realisierung einzelner Ausstellungsprojekte auftreten. Vor dem Hintergrund der Entwicklung ihres eigenen Werkes hat dabei jede ihr spezielles Aufgabengebiet übernommen: Henrieke Ribbe die Figur, Ergül Cengiz die Hintergründe und Kathrin Wolf das verbindende Dekor. Stilistischen Anleihen entnehmen sie der Tradition der barocken Deckenmalerei und dem Symbolismus des Jugendstils. Zwischen Idylle, Kitsch und Ernsthaftigkeit verleiht ihren Arbeiten gerade dieser atmosphärische Bezug auf historische Vorbilder den nötigen Halt, um – trotz aller bewusst in Kauf genommenen stilistischen Brüche und collagiert wirkenden kompositionellen Unebenheiten – aus drei unterschiedlichen künstlerischen Handschriften ein gemeinsames Ganzes zu formen. Dass diese nun schon seit mehr als zwei Jahren bestehende Arbeitsgemeinschaft der 3 Hamburger Frauen mehr ist als nur ein Laune, das beweisen die drei Künstlerinnen in jedem ihrer Wandbilder aufs Neue.

Philipp Ziegler

 


The swans are gone. Still the river
Remembers how white they were.
It strives after them with its lights.
It finds their shapes in a cloud.
What is that bird that cries
With such sorrow in its voice?
I am young as ever, it says. What is it I miss?

Aus Sylvia Plath Three Women (1962)

 

Ob Pablo Picassos berühmtes kubistisches Gemälde Trois Femmes, Sylvia Plaths Kreißsaal-Hörspiel Three Women, Robert Altmans Spielfilm 3 Women oder, etwas trivialer vielleicht, das berühmte Frauentrio aus der Seventies-TV-Serie Drei Engel für Charlie: Das Motiv der drei Frauen ist aus der Geschichte von Hoch- und Popkultur nicht wegzudenken. Doch den kulturhistorischen Ballast kann man zunächst einmal getrost beiseite räumen.
Die drei Hamburger Künstlerinnen Ergül Cengiz, Henrieke Ribbe und Kathrin Wolf jedenfalls wählten die Be-zeichnung 3 Hamburger Frauen eher spontan und beiläufig. Sie entstand als Label, unter dem sie in einem produktiven Gemeinschaftsprozess temporäre Wandgemälde anfertigen, auf einem Autotrip nach Wien, die Lieblingsmusik aus den Lautsprecherboxen noch im Ohr, die Malsession in der befreundeten Offspace-Galerie Lassie bereits vor Augen. Lakonisch und schnörkellos sagt die Bezeichnung 3 Hamburger Frauen nicht mehr und nicht weniger aus, als das, was sie sind: Ein selbstbewusstes Trio um die dreißig, das sich in der Stadt Hamburg an der Hochschule für Bildende Künste kennengelernt hat. Die offensichtlichen Gemeinsamkeiten, aber auch die feinen Unterschiede ihrer jeweiligen künstlerischen Bildsprache haben sie zu ihrem Markenzeichen gemacht. Die drei Protagonistinnen begegnen uns auf den bemalten Wänden immer wieder: als lässige Stilikonen, als coole Cowgirls, als engelhafte Figuren, als vampartige Ladies. Der individuelle Stil jeder einzelnen wird betont, überinszeniert, dezent angedeutet oder theatralisch überhöht. Gleichzeitig aber gibt es verbindende Elemente wie Kleidungsstil, kleine Accessoires oder Körperhaltung. Landschaften, Interieurs, Tiere, Blüten und architektonisch-atmosphärische Elemente wie eine freischwingende Treppe oder eine schlichte Holzhütte bilden das in der Regel farbintensive Setting für den mal spektakulären, mal zurückgenommenen Auftritt der 3 Hamburger Frauen. Die Vorlieben und Stärken der Einzelnen finden sich in der Gemeinschaftsproduktion wieder: Ergül Cengiz ist für Landschaften, Architektur und atmosphärische Dichte zuständig, Kathrin Wolf bringt zeichnerische Elemente, Tiere und Pflanzen mit ein und Henrieke Ribbe malt die Figuren.
Der Arbeitsprozess, die Gespräche, der Gedankenaustausch und schließlich das gemeinsame Malen formen das Trio zu einem kreativen Kollektiv auf Zeit. Die einzelnen Elemente werden zwar in Vorgesprächen festgelegt, das Ergebnis ist jedoch offen. Jeder Raum birgt mit seinen architektonischen Besonderheiten neue Herausforderungen, auf die malerisch reagiert werden muss. Eine elegant geschwungene Treppe, die dominant von der Decke bis zum Fußboden führt, verwandelt den schlicht-modernistischen Ausstellungsraum für die Dauer der Schau in ein palastartiges Milieu und weckt Erinnerungen an venezianische Adelshäuser oder mondäne Revuefilme. Die Dynamik und Intensität des gemeinsamen Arbeitsprozesses wird untermalt von gemeinsam konsumierter Musik, die als Schmankerl in Form einer CD mit der Wandarbeit verbunden bleibt. Legt man eine Definition von Beatrice von Bismarck zu Grunde, so lässt sich die Gemeinschaftsarbeit der 3 Hamburger Frauen als „Kollaboration“ bezeichnen.1 Politisch aktive, feministische Kämpferinnen wie die Guerilla Girls sind sie aber nicht. Die stehen in einer ganz anderen, lange zurückliegenden Tradition. Der Zusammenhang der 3 Hamburger Frauen ist wie ihre Wandarbeiten für kurze, intensive Zeit dicht und produktiv, um dann wieder auseinanderzubrechen. Die Wände werden wieder weiß getüncht und machen Platz für neue Bilder. Die Künstlerinnen gehen individuelle Wege. Freundschaft und künstlerische Nähe aber bleiben. Auch über Raum und Zeit hinweg.

Nicole Büsing & Heiko Klaas

 

1 „Bei Kollaborationen kommt es über den sozialen Zusammenschluss hinaus auch zu gemeinsamen Produktionsprozessen. Während hier ebenso die Teilnehmenden als individuelle ProduzentInnen erkennbar bleiben, werden deren Konturen inner-halb von Projektarbeit unscharf, um stärker in dem Prozess gemeinsamer Arbeit aufzugehen, der dem entstehenden Produkt gegenüber aufgewertet wird.“

aus: Hubertus Butin (Hg.): DuMonts Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst, Köln 2002, S. 280 f.