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Mach Schau!

400 qm

Kunsthaus Hamburg 2011

Chick Habit

Klänge, Töne, Sound und erst recht Melodien wirken wie die Kraftverstärker unserer Gefühle und Stimmungen. Ein Song ist in der Lage aus einem melancholischen Tag einen energievoll beschwingten Tag zu zaubern. Klänge, Töne können uns in eine andere Welt tragen, in der wir genau so sind, wir es schon immer wollten. Musik entfaltet eine ungeheure Manipulationskraft, sie uns direkt ein und wir werden Teil von ihr. Bilder dagegen bleiben meist distanziert, sie wollen enträtselt werden und lassen uns außen vor.

Als wenn die „3 Hamburger Frauen“ genau diese Distanz zum Bild aufheben wollten, integrieren sie sich selbst in ihre Wandbilder und werden Teil dichter Allegorien der Selbstdarstellung. So werden sie im Wandbild „The Girls are Pretty“, 2006 zu den Protagonisten von Manets „Dejeuner sur l’herbe“, 1862/63 und baden in einem Meer aus Bildfragmenten, die eine klare Verortung in Himmel oder Hölle nur schwer zulassen. Der Titel beschreibt dabei weniger die Künstlerinnen, sondern zitiert „Paradise City“, die Hymne zur Flucht aus den Abgründen der Gegenwart von Guns n’ Roses: „Take me down to the paradise city, where the grass is green and the girls are pretty“.

Für Kathrin Wolf, Henrieke Ribbe und Ergül Cengiz ist die gemeinsame Arbeit auch eine Form der Flucht – eine Flucht aus der eindimensionalen Darstellung des Selbst im Porträt. Es wirkt wie eine Transformation in die multiple Persönlichkeit der Träume, Wünsche, Gefühle und Stimmungen. Bereits der Name der Künstlergruppe ist mehr als ein Hinweis auf den gemeinsamen Ort ihrer Ausbildung. „3 Hamburger Frauen“ steht für ein Gruppengefühl und könnte auch der Name einer Band sein. Parallel zu ihrer jeweiligen künstlerischen Tätigkeit schlüpfen die drei Künstlerinnen zeitweise in eine andere Rolle. Ebenso wie eine Band nicht in ihre Bandmitglieder auseinander dividiert werden kann, sind sie als „3 Hamburger Frauen“ etwas anderes. Wenn wir in der Terminologie des Pop und Rock bleiben, so ist jeder Auftritt der drei, jedes Wandbild oder jede Ausstellung ein Song, oder gleich ein ganze Platte oder Konzert. Dunkel barocke Orchestrierungen, melodiöse Liebeslieder, flirrend elektronische Klänge, plakativ eingängige Punksongs aber auch konzeptuelle Arrangements gehören zum Programm von Cengiz, Ribbe und Wolf. Jeder Auftritt, jede Platte ist unterschiedlich, aber in sich stimmig, komplex und vielschichtig. In den Texten, Inhalten geht es meist um sie selbst. Erinnerungen, Erfahrungen, Erlebnisse, Einflüsse und Träumereien verdichten sich und bringen immer wieder neue Bilder zu Stande. So greift die visuelle Coverversion von „In A Gadda Da Vida“ der Rockklassiker Iron Butterfly aus den 60er Jahren dessen psychedelische Grundstimmung auf und überführt es 2009 im Kasseler Kunstverein in ein schillerndes kaleidoskopartiges Stück Malerei. Das Grundmotiv aller Auftritte der „3 Hamburger Frauen“, die variantenreiche Selbstporträtierung, bricht sich in „In A Gadda Da Vida“ dreifach und wird Teil der psychedelisch flirrenden Gesamtkomposition. Die ursprüngliche Düsterheit des Originals von Iron Butterfly wird durch die leuchtenden Farben weggewischt und erscheint nur mehr als Referenz durch einzelne Totenköpfe, die Teil des Gesamtornamentes werden.

Zu den Klassikern des Trios gehören vielleicht „Lassie Come Home“, 2005, „Memento“, 2007 oder „3HFbdVfdAS2008fbKdFuHHIK“, 2007. Während sie mit „Lassie Come Home“ noch die metaphernreiche Ironie der Lassie Singers aufgreifen, so erscheint die selbstbewusste, geradlinige Darstellung von „Memento“ wie die Reinkarnation der fast vergessenen Frauenband L7 Anfang der 1990er Jahre. Die überdimensionale Selbstdarstellung in „Memento“ erschien im gleich Jahr wie Quentin Tarantinos „Death Proof“, dessen drei Stuntfrauen mit dem Song „Chick Habit“ von April March im Hintergrund einen brutalen Triumph über die Männlichkeit feiern. Mit ihrer Selbstdarstellung bei „3HFbdVfdAS2008fbKdFuHHIK“ orientieren sie sich vielleicht eher an der Neuverfilmung von „Drei Engel für Charlie“: futuristisch, glamourös und unbezwingbar. Die visuelle Sprache der Wandbilder haben ebenso wenig mit der Realität zu tun, wie die Texte der Songs der Pop- und Rockgeschichte. Es sind aber genauso treffende Vermittlungen eines Lebensgefühls mit allen seinen Widersprüchen und verführerischen Lebenslügen. Das erklärt auch romantisierende Arbeiten wie das Wandbild „Marriage of Heaven and Hell“, ein visuelles Kontrastprogramm zum dem im selben Jahr entstandenen „Memento“. Einzig die zentrale Hochzeitsszene in Tarantinos Zweiteiler Kill Bill, könnte „Marriage of Heaven and Hell“ und „Memento“ miteinander verbinden.

Es wäre sicherlich eindimensional, die komplexen Bildverflechtungen „Der 3 Hamburger Frauen“ einzig in die Tradition (post-) feministischer und Musikgeschichte zu stellen. Nicht nur, weil sie keine Musikerinnen, sondern bildende Künstlerinnen sind, sondern weil gerade jüngere Kompositionen wie „Pamphile Show“, 2009 und „Tafelbild“ 2010 ihre Versiertheit im Spielfeld der Kunstgeschichte beweisen. So erscheint der Tanz mit dem Bären in „Pamphile Show“ als pointillistische Variante von James Ensors Maskeraden und bei „Tafelbild“ verbindet sich Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“ mit Leonardo da Vincis Aufzeichnungen als Erfinder.

Die neusten Arbeiten der „3 Hamburger Frauen“ in der Galerie Françoise Heitsch in München in 2011, sowie in dieser Ausstellung der HypoVereinsbank im Kunsthaus Hamburg beschränken sich nicht auf die zweidimensionale Wandfläche, sondern greifen in den Raum hinein. Die drei Künstlerinnen schlagen hier leisere Töne an. Die visuellen Versatzstücke, die bisher einen dichten Bildteppich ergaben, fallen nun vor- und hintereinander auf transparenter Folie. Die visuellen Empfindungsteppiche überlagern sich, und werden durch ornamentale Strukturen visuell zusammengehalten. Es ist eine A-capella Version der vorherigen Auftritte: reduzierter, zerbrechlicher und vielschichtiger.

Text: René Zechlin